Chronik von Neuseddin Teil 1
Neuseddin
Chronik Teil 1
Von den Anfängen bis 1989
Der Wasserturm in Neuseddin
ein neues Wahrzeichen, eine neue Geschichtsschreibung
Vom Entstehen und Werden des Ortes Neuseddin.
Die Anfänge bis zum Jahre 1925
Die Schmiedestraße in Neuseddin
"Wer die Vergangenheit nicht kennt,
kann die Gegenwart nicht richtig einschätzen
und die Zukunft nicht gestalten."
Standortbestimmung von Neuseddin
Neuseddin Gemeinde Seddiner See |
Breitengrad |
52.2833 |
Längengrad |
12.9833 |
Höhenlage(feet) |
164 |
Breite (Grad Minuten Sekunden) |
52° 16´ 60 N |
Länge (Grad Minuten Sekunden) |
12° 58´ 60 E |
Höhenlage (Meter) |
49 |
Topographische Beschreibung
Die Ortschaft Neuseddin ist bei der Gründung mitten im Kunersdorfer Forst
angesiedelt worden. Ihre vorwiegend mit Nadelwald bewachsene, fast
ebene Gesamtfläche beträgt 14,2 qkm, davon sind etwa 2 qkm Wohnfläche.
Das Wohngebiet liegt 58 m, das Bahngelände 61 m über dem Meeresspiegel.
Zur Gemeinde gehört ein gut erschlossenes 67 ha großes Gewerbegebiet,
welches zur Zeit von über 90 Gewerbetreibenden genutzt wird.
Die Gemeindefläche grenzt im Norden in Höhe der Autobahn A 10
an Ferch, im Osten an die Gemeinden Michendorf und Wildenbruch, im
Süden an den Großen Seddiner See und das Dorf Seddin, im Westen in
Höhe des Teufelssees an die Gemeindegrenze der Stadt Beelitz. über die
Bundesstraße 2 und die Regionalbahn 11 der Deutschen Bahn AG ist unser
Heimatort gut zu erreichen.
Die zum heimatlichen Naherholungsgebiet gehörenden Seen haben folgende Flächen :
Der Große Seddiner See 232,2 ha
Der Kleine Seddiner See 50,4 ha
Der Teufelssee 4,8 ha
Mögliche Deutung des Ortsnamens:
Die Namen "Seddin" und "Teufelssee" sind slawischen Ursprungs.
"Seddin" ist mit 'sedo' , d.h. "Ansiedlung" zu erklären.
Am wahrscheinlichsten ist die Ableitung von einem ursprünglichen Gewässernamen,
so als Ableitung vom urslawisch "zid" = flüssig ( Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen der Zauche, 1967).
Julius Bilek führt den Orts-und Gewässernamen Seddin auf das Zeitwort
"zdati" = bauen, gründen, oder auf einen Personennamen.
"Zdistav", "Zdislaus"
zurück. (Julius Bilek, Die slawischen Ortsnamen der Zauche, in Heimatkalender
für den Kreis Potsdam, 1960).
"Teufelssee" ist mit 'dupel', d.h. "vom Ort weit entfernt liegend" zu erklären.
Der in allen Teilen Brandenburgs vorkommende Gewässername Teufelssee
wird von Heimatforscher Dieter Mehlhardt auf das slavische "Düpel" oder "Dupel" (wie im Entwurf z. Ortsgeschichte genannt) zurückgeführt, womit
die Wenden einen versteckt liegenden Teich bezeichnen. (Dieter Mehlhardt, Teufelssee-Sagen, in Heimatkalender für den Kreis Potsdam, 1959 ).
Der Kunersdorfer Forst
gehörte bis 1815 zur preußisch-brandenburgischen
Zauche und wurde nach Zusammenlegung mit dem ehemals sächsischen
Amt Belzig in den Kreis Zauch-Belzig eingeordnet. Ab 1952 wurde Neuseddin,
aufgrund der damaligen Verwaltungsreform, dem neu gebildeten
Kreis Potsdam-Land zugeordnet. Mit der Kreisgebietsreform des Jahres
1993 wurden dann allerdings die ehemaligen Kreise Belzig, Brandenburg
und Potsdam-Land zusammengelegt und zum Kreis Potsdam-Mittelmarkvereinigt.
Als Kreisstadt für den neuen Großkreis wurde Belzig bestimmt.
Der Wohnort schließt sich unmittelbar an das Betriebsgelände des Bahnkomplexes
Seddin an. lhn durchquert die Kunersdorfer Straße, eine
Kreisstraße, welche die Verbindung von der Bundesstraße 2 ( Leipziger Chaussee )
bis zur Bundesstraße 1 ( Fernverkehrsstraße Berlin - Magdeburg )
herstellt und die das gesamte Bahngelände zum Ortsausgang hin
mit einem ca. 300 Meter langen Tunnel vollständig unterquert.
Ca. 1 1/2 km nördlich vom Ort entfernt verläuft die Trasse der Bundesautobahn
A 10 (Berliner Ring) mit der Anschlußstelle Ferch-Neuseddin.
Die Einwohnerzahl Neuseddins entwickelte sich von 1918, der Zeit der ersten Ansiedlung der Bewohner,
bis zum Jahr 1990 auf ca. 3.300 ortsansässige Bürger.
Aber auch schon vor 1918 waren einige wenige Bewohner ansässig.
Die lnfrastruktur Neuseddins
Die lnfrastruktur unseres Ortes wird wie folgt geprägt :
Auf der westlichen Seite der Kunersdorfer Straße befindet sich die ursprüngliche
Ortssiedlung mit Haus-und Kleingärten, sowie der "Alten
Schule", Sport-und Kulturanlagen, sowie 2 Arzt-und 2 Zahnarztpraxen.
Auf der anderen Seite der Kunersdorfer Straße befindet sich das Neubaugebiet,
das in Großblockbauweise (Plattenbau) errichtet wurde.
Beide Wohngebiete haben Versorgungs-und Dienstleistungseinrichtungen.
Die alte Schule und die Kita im älteren Ortsteil am Breitenbachplatz sind
aber leider nicht mehr in Betrieb.
Die Einrichtungen des Gesundheitswesens waren bisher im alten Ortsteil
dominierend. Seit einigen Jahren etablierte sich auch im neuen Ortsteil je 1
private Arztpraxis und 1 Zahnarztpraxis, dazu neuerdings 1 Apotheke und
1 Physiotherapie.
Ein modernes Einkaufszentrum mit Supermarkt und vielen Einzelhandels-
Geschäften an der Kunersdorfer Strasse bildet heute den östlichen Ortseingang.
Beide Wohngebiete sind mit Garagagenkomplexen umgeben. Der aufmerksame
Betrachter der Wohnsiedlung wird schon an der Bauart der verschiedenen
Wohngebäude, der Einfamilien-und Reihenhäuser, bis hin zu
den fünfgeschossigen traditionellen Plattenbauten und den in neuester Zeit
errichteten hochmodernen Wohnbauten ersehen, wie der Wohnort in deutlich
erkennbaren Etappen in verhältnismäßig kurzer Zeit gewachsen ist. Er
wird auch erkennen, wo sich in der Entwicklung unseres Ortes Disproportionen
ergeben haben.
Zwischen dem Wohnort und der Bundesstraße 2 befand sich ein NVA-
Gelände mit damals typischen Bauwerken und Einrichtungen. Aus diesen
Liegenschaften entwickelte sich nach der Wende 1989 ein vielfältiger Gewerbekomplex
und das bekannte Freizeitzentrum,"Neuseddinland".
Die Siedlung Kunersdorf
Der alte Siedlungskern Kunersdorf hat sein ursprüngliches Gepräge in den
zurückliegenden Jahren als Oberförsterei verloren und ist mit seinen teils
neu errichteten Gebäuden für Erholungszwecke, einer Heimvolkshochschule
und mit der in der Nähe befindlichen beliebten Badestelle und dem
Zeltplalz zum Naherholungsgebiet für viele Menschen geworden.
Ehemalige Försterei Kunersdorf
ln den umliegenden Waldgebieten finden jährlich Tausenden Erholungssuchende
die gewünschte Entspannung und Erholung.
Etwa 400 Jahre alte Eichen in der Nähe der B 2, eine etwa 250 Jahre alte
Kiefer am Seeweg unterhalb der Forstarbeiterhäuser am abgetrennten Teil
des Großen Seddiner Sees, die Krüppelkiefern sowie das Fenn am Teufelssee
und der Ziegenberg als Naturdenkmal sind zumindest für den Kenner
interessante Naturobjekte. Das um Kunersdorf und Neuseddin liegende
Seddiner Wald-und Seengebiet ist Teil der Landschaftsschutzgebiete
"Potsdamer Wald-und Havelseengebiet" (18.000 ha) bzw. "Nuthetal-Beelitzer Sander" (41.726 ha).
Der um Kunersdorf anzutreffende Eichenwald bzw. die Eichenbestände auf
dem Ziegenberg sind Reste und Relikte der einst für die Mittelmark so typischen
wärmeliebenden Eichenwälder, die später zum größten Teil aus
ökonomischen Gründen in schneller ertragreiche Kiefernforstgesellschaften,
d.h. in Monokulturen umgewandelt wurden. Der natürliche, wärmeliebenden
Eichenwald zeichnet sich durch buntblumige Pflanzenarten aus.
Kostbarkeiten in unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft sind die
Waldmoore zwischen den Seddiner Seen und dem Teufelssee. Sie sind die
letzten "Urlandschaften", denen Gefahr durch sinkenden Wasserstand und
damit durch Austrocknen droht. Die Moore werden in unserer Gegend
Fenn genannt. Diese Bezeichnung brachten einst Kolonisten und Siedler
aus dem niederländischen oder niederdeutschen Sprachraum nach hier
mit. ln der Fennkette, alle Moore stehen hier unter Naturschutz, sind am
besten ausgeprägt das "Fenn am Teufelssee" und das "Dasen-Fenn", die
z. Zt der Fruchtreife des Wollgrases einen prachtvollen Anblick bieten. Als
sogenannte Verlandungs-oder Zwischenhochmoore weisen die Fenne
eine seltene Hochmoorflora auf u.a. mit Sonnentau-und Wasserschlaucharten
(sogenannte lnsekten-oder kleine Wassertiere fangende
Pflanzen), Blasenbinse, Sumpf-Blutauge, Straußgilbweiderich, Moosbeeren,
Wollgräser, Weißes Schnabelried und Torfmoosen. Die Moore sind
regelrechte "Kaltluftseen" und die hier wachsenden Pflanzen sind diesem
Lokalklima völlig angepaßt, so daß ein Teil dieser nordischen Pflanzenarten
auch in der Tundra Nordeuropas heimisch ist. Auch in den Sommermonaten
können in den Mooren dieser Fennkette nachts noch Fröste auftreten.
Andere interessante Pflanzen in der Umgebung der Moore sind das
nordische Moosglöckchen, Wintergrünarten und Keulen-Bärlapp.
Leider ist in der Fenn-Kette eines der artenreichsten Moore mit großen <
Vorkommen an Hochmoorpflanzen beim Bau des NVA-Objektes in Neuseddin
verlorengegangen. Die Forstvenvaltung hatte als Rechtsträger zugestimmt,
das Moor mit Sand und Abraum aufzufüllen.
Die prägende Wirkung des Eisenbahnkomplexes
Seddin für unseren Ort
Nicht unerwähnt bleiben darf der Eisenbahnkomplex Seddin, der mit seinen
weithin sichtbaren Gebäuden Wasserturm und Zentralstellwerk die Silhouette
des Ortes prägen. Ohne die Entwicklung des Eisenbahnwesens wäre
der Ort Neuseddin nicht entstanden.
Bereits in den Jahren 1875 bis 1879 wurde die sogenannte Wetzlarer Bahn
gebaut, um den wachsenden Aufgaben im Verkehr zwischen dem Osten
und dem Westen des damaligen Deutschen Kaiserreiches Rechnung zu tragen und eine durchgehende
Verbindung zwischen der damaligen russischen Grenze und Frankreich, über das sich industriell
stark entwickelnde Berlin herzustellen, den anhaltinischen Raum zu erschließen und außerdem militärischen
Forderungen Rechnung zu tragen, die auf diesem Transportweg schnell Truppenverschiebungen vornehmen konnten.
Deshalb wurde diese Bahnstrecke auch "Kanonenbahn" genannt.
Gleisarbeiter bei der Arbeit
Um die Jahrhundertwende ergab sich die Notwendigkeit, Berlin hinsichtlich
des Güterverkehrs zu entlasten. Die Kapazitäten der Rangier-und Güterbahnhöfe
war erschöpft. Es erschien unzweckmäßig im Stadtgebiet einen
weiteren großen Rangierbahnhof anzulegen. Als Standort für einen solchen
Bahnhof wurde ein geeigneter Platz an der Wetzlarer Bahn ausgesucht.
Die Schnittstelle Bahnlinie-Kunersdorfer Straße erschien für die Errichtung eines Verschiebebahnhofes
besonders günstig, weil hier das Eisenbahnkreuz Wetzlarer Bahn mit dem Streckenverlauf Oranienburg-Wildpark-Jüterbog
verbunden werden konnte. Somit war der Anschluß des Bahnhofes an
bereits bestehende Strecken möglich. Für die Bestimmung des Standortes war aber auch entscheidend, daß der Raum Potsdam auf Anordnung Kaiser Wilhelm ll. vom Betrieb eines Güterbahnhofes verschont bleiben
sollte, obwohl eine günstige Anbindun g zur Wasserstraße Havel dort möglich
gewesen wäre. Auch die Erweiterung des Bahnhofs Grunewald, damals noch weit vor den Toren Berlins gelegen, wurde abgelehnt.
Bahnhof Seddin in Neuseddin
Auf Anordnung von "SM" ("Seiner Majestät") sollte der Grunewald als Naherholungsgebiet
ausgebaut werden. Außerdem war das Waldgebiet im damaligen
Kreis Zauch-Belzig billiger zu erwerben, als Privatbesitz an Grund und
Boden. lm Zusammenhang mit der Errichtung des Bahnhofes Seddin wurde
auch der südliche Berliner Außenring geplant und eingleisig gebaut. Der
zweigleisige Ausbau erfolgte erst später in den 50er Jahren im Zuge der
Errichtung des gesamten Berliner Außenringes.
Obwohl die Wohnanlagen nach den ersten Entwürfen zuerst auf der nördlichen
Seite errichtet werden sollten, wurde das Planum für den Bahnkomplex
und den Wohnort dann doch auf der anderen Seite hergestellt, wahrscheinlich
wohi wegen der besseren Baufreiheit und günstigeren Be-und
Entwässerungsmöglichkeit, die man auf dieser Seite erreichte. Der Bahnkomplex
wurde auf einer Länge von 5 km und 300 m Breite mit 4 Unterführungen
gebaut. Ersollte im Jahre 1918 voll betriebsfähig sein. Obwohl die
Bauarbeiten vor allem Ausschachtungsarbeiten für die Unterführungen im
l.Weltkrieg mit Kriegsgefangenen durchgeführt wurden, verzögerte sich die
Fertigstellung der Anlagen in Folge des Krieges. Die entstandenen Anlagen
und Betriebsgebäude, so auch Stellwerke, wurden jahrelang nicht genutzt.
Nur der am 2.Februar 1914 erötfnete Haltepunkt wurde öffentlichkeitswirksam.
Die Anfänge der Wohnsiedlung
Mit dem Entstehen und der Entwicklung des Eisenbahnkomplexes ergab
sich auch die Notwendigkeit der Errichtung einer Wohnsiedlung für die bei
der Eisenbahn Beschäftigten und ihre Familien. Bis zu diesem Zeitpunkt
wohnten im Bereich lediglich die Schrankenwärter, die an den 4 Bahnübergängen
mit Wohnraum versorgt waren. Diese schienengleichen Bahnübergänge
wurden später nach dem Bau der Unterführungen aufgelöst. Ausschachtungsarbeiten
für die Unterführungen im 1. Weltkrieg wurden mit Kriegsgefangenen durchgeführt.
Nach Angaben von Gustav Dähn ( zu dieser Zeit Bahnarbeiter ) wurden die
Ausschachtungsarbeiten für Unterführungen und Bahnanlagen von engl.
und franz. Kriegsgefangenen durchgeführt, die am westlichen Teil des
Tunnels Unterkünfte hatten und sogar einen Sportplatz. Er erzählte weiter,
daß der Bahnbetrieb im 1. Weltkrieg mit Hilfe von Frauen aus dem Nachbarort
Seddin aufrecht erhalten wurde, die als Hilfsrangierer tätig waren
oder andere Tätigkeiten auf dem Bahnhof Seddin ausführten.
Als erste Schritte, hinsichtlich der Gründung des Ortes wurde vom damaligen
königlichen Landrat des zuständigen Kreises Zauch-Belzig in einem
Schreiben vom 06.11.1911 u.a. gefordert Entsprechende Maßnahmen neben dem Wohnungsbau zu berücksichtigen,
so der Bau eines Armenhauses mit Wärterwohnung, einer Kirche und
Pfarrhaus, die Betreibung einer Pfarrstelle, sowie einer Schule und ein
Lehrerwohnhaus. ln einem Schreiben des Landrates an den königlichen
Regierungspräsidenten in Potsdam vom 09.11.1912 begründete dieser,
warum er dem Anschluß des neu zu bildenden Kommunalbezirkes an eine
vorhandene umliegende Gemeinde nicht zustimmt, weil das in diesen Gemeinden
wegen des Zuzuges zahlreicher links gerichteter Arbeiter einen
schnellen Zuwachs sozialdemokratischer Stimmen bei den Wahlen nach
sich ziehen würde.
Am 27.07.1914 teilte der Landrat der königlichen Eisenbahndirektion in
Berlin mit, daß ihr nunmehr gestattet wird, die Notwendigkeit einer neuen
Wohnsiedlung und ihre Gestaltung zu begründen, das erfolgte dann im März 1915.
Daraufhin bestätigte der Kreisausschuß des Kreises Zauch-Belzig dem
Oberförster von Kunersdorf, als dem zuständigen Amtsvorsteher am 12.04.1915, daß die Ansiedlungsgenehmigung
entsprechend dem Ansiedlungsgesetz vom 10.08.1904 erteilt ist. lm Amtsblatt der königlichen Regierung
zu Potsdam und der Stadt Berlin stand dann in der Novemberausgabe 1915:
"Im Einvernehmen mit dem Herrn Minister des Inneren
wird der bei der Ortschaft Seddin im Kreis Zauch-Belzig gelegenen Ansiedlung für die Eisenbahnbediensteten
des neu errichteten Verschiebebahnhofes der Name Neuseddin beigelegt."
Potsdam, den 29. November 1915
Der Regierungspräsident
Zur geplanten Namensgebung
An dieser Stelle sei darauf hinzuweisen, daß die Namensgebung zunächst
nicht einheitlich war. Angefangen hatte der Streit mit der Bezeichnung für
den Haltepunkt und das Bahngelände. Von der Eisenbahnverwaltung kursierten
solche Bezeichnungen wie "Neu-Michendorf " oder, weil umfangreiche
Rodungen erforderlich waren, der Name "Kunersrode".
Auch Kunersdorf war vorgesehen,
wurde jedoch mit dem Hinweis des bereits vorhandenen Kummersdorf bei Jüterbog abgelehnt. Erst als die Gemeinde
Seddin vorschlug, dem Bahnkomplex den Namen "Seddin" zu geben,
setzte sich dieser letztendlich durch. So ergab sich dann auch folgerichtig
der Name "Neuseddin" für den neuen Wohnort.
Die ersten Verwaltungsentscheidungen
Die Genehmigung für die Ansiedlung wurde mit der Bedingung erteilt, daß
sie als eisenbahnfiskalische Siedlung betrieben wird. Das heißt also, daß
alle kommunalen Erfordernisse für den Aufbau und die Entwicklung der
Siedlung durch den Eisenbahnfiskus zu tragen sind. Die Wohnsiedlung
erhielt trotz der Forderung der königlichen Eisenbahndirektion Berlin im
Jahre 1916 nicht den Status eines eigenen, damit selbständigen Guts(
Amts-) Bezirks und wurde daher dem Guts- (Amts-) Vorsteher von
Kunersdorf zugeordnet. Der Oberförster und die Forstverwaltung sahen in
der sich anbahnenden Entwicklung des neuen Komplexes berechtigterweise
eine unzumutbare Belastung. ln beiderseitigem Einverständnis vereinbarten
Eisenbahnverwaltung und Forst, daß die Wohnsiedlung durch einen
Vertrag zwar dem Gutsbezirk mit allen Konsequenzen zugeordnet wurde
und deshalb der Guts- (Amts-) Vorsteher die Obrigkeitsbefugnisse wahrnimmt,
ihm jedoch ein Amtsvorsteher -Stellvertreter durch die Eisenbahn
beigegeben wurde. Außerdem wurde festgeschrieben, daß sämtliche sozialen
Ausgaben für den Ort durch die Eisenbahnverwaltung zu tragen
waren. Daraus ergab sich z.B. daß der jeweilige Finanzplan für den Ort von
der Eisenbahnvenrualtung aufgestellt und realisiert werden mußte, für sämtliche
Investitionen und sonstigen Ausgaben haftete der Eisenbahnfiskus.
Der erste Stellvertreter des Amtsvorstehers war der damalige Bahnhofsvorsteher.
Das wechselte aber im Laufe der Jahre. Eine Gemeindevertretung
gab es nicht, so lange diese Rechtsvorschriften galten. Auch ein erneuter
Antrag der Eisenbahndirektion im Jahre 1924 auf Bildung eines
eigenen Amtsbezirks wurde wiederum abgelehnt.
Neben der Regelung der kommunalen Verantwortung erfolgten weitere Vertragsregelungen zwischen
der Forst und der Eisenbahn. So der Eigentumswechsel über die
von der Eisenbahn damals in Anspruch genommenen Fläche von ca. 90 ha
für das Betriebsgelände und 41 ha für die Wohnfläche. Wegen der durch
die Ansiedlung der Eisenbahn sich ergebenden zusätzlichen Aufgaben für
die Forst, forderte und erhielt diese auch die Zustimmung dazu, daß ein
Försterwohnhaus mit Nebenanlagen an der Ecke Kunersdorfer Straße /
Ladestraße für einen Forstbeamten der Oberförsterei Kunersdorf im Ortsbereich
Neuseddin auf Kosten der Eisenbahn gebaut wurde.
Aus all den Darlegungen ist die enge Verflechtung zwischen der Eisenbahn
als Arbeitgeber und zugleich als Sozialpartner im Wohnort mit entsprechenden
Rechten und Pflichten zu entnehmen. Dazu gehörte z. B. daß nur
derjenige eine Wohnung erhielt, der bei der Eisenbahn beschäftigt war, sie
aber wieder verlassen mußte, wenn das Arbeitsverhältnis aufgelöst wurde.
Außerdem konnte die Eisenbahnvennraltung besondere Festlegungen in
den Mietverträgen vereinbaren; so die Straßen-und Vorgärtenreinigung. ln
den ersten Jahren gab es sogar einen Passus, daß in jedem Raum höchstens
eine 60 Watt-Glühlampe genutzt werden durfte, und daß das
Benutzen von elektrischen Geräten wie Bügeleisen oder Tauchsieder untersagt war.
ln den Dienstwohnungen gab es keine Zähler für Strom-und Wasserverbrauch.
Aus dem bisher Geschilderten ist ein deutliches Abhängigkeitsverhältnis
der Bewohner vom Arbeitgeber, auch hinsichtlich der Bürgerrechte im
Wohnort zu erkennen. Es gab auch keine Gemeindeverwaltung mit den
damit verbundenen Möglichkeiten für eine eigenständige Verwaltung. Aber
die damalige Regelung hatte den Vorteil, daß Fragen der öffentlichen Ordnung
und Sauberkeit durch die direkte Einflußnahme der Eisenbahnverwaltung
unkomplizierter geregelt und durch den engen Kontakt alle Maßnahmen
zur Infrastruktur besser gelöst werden konnten, da alle Voraussetzungen
vor Ort waren.
So gab es Bedienstete, die Bäume und Hecken im Wohngebiet beschnitten.
Die Bahnmeisterei war für die Müllabfuhr und die Haushaltkohlelieferung
zuständig. Durch die vor Ort vorhandenen Betriebshandwerker konnten
Reparaturen schneller ausgeführt werden. Für die Eisenbahnerfamilien
wurden auch Badeberechtigungen ausgegeben, mit der jeder Familienangehörige
berechtigt war, zu bestimmten Zeiten in der Badeeinrichtung des
Übernachtungsgebäudes zu baden. Beschäftigte konnten dies kostenlos
nutzen, Angehörige für sehr geringe Gebühren. Auf die notwendigen lnvestitionsmaßnahmen
zur Entwicklung der Wohnsiedlung hatten die örtlichen
Dienststellen aber keinen Einfluß. Diese eben geschilderten Prozesse verflachten
oder lösten sich im Laufe der Jairre auf, gaben jedoch immer wieder,
auch in Jahren veränderter Rechtsgrundlagen zur Kommunalpolitik,
Anlaß zu spezifischen Möglichkeiten der Gestaltung der Wohnbedingungen
im Ort.
Der l. Weltkrieg verzögert den Weiterbau
Obwohl durch die Auswirkungen des l.Weltkrieges die beabsichtigte Betriebsfähigkeit
des Bahnkomplexes stark verzögert worden war, einige Aufgaben
aber durchgeführt wurden, ergab sich immer mehr die Notwendigkeit,
Eisenbahner im Dienstort anzusiedeln. Neben dem begonnenen Wohnungsbau
ab 1918, der aber nicht ausreichend war, erfolgte vorerst eine
behelfsmäßige Unterbringung der ersten Familien ab 1918 in noch nicht zu
Eisenbahnzwecken genutzten Funktionsgebäuden. Ab 1921 wurden auch
Wohnräume im Übernachtungsgebäude hergerichtet. Diese Situation änderte
sich erst 1924. ln diesem Jahr sollte die endgültige Inbetriebnahme
des Verschiebebahnhofes in Verbindung mit einer großen Eisenbahnausstellung
auf dem Gelände der heutlgen Südgruppe erfolgen. Zu diesem
Zeitpunkt waren die damals benötigten Wohnungen ebenfalls fertiggestellt.
Die ersten Wohnkomplexe in der Schmiedestraße werden fertiggestellt
Als erster geschlossener Wohnungskomplex wurde bis 1925 die Schmiedestraße
fertig. Charakteristisch für den Baustil war die Reihenbauweise
mit Einfamilien-Reihenhäusem (bis auf dle Nr.17) die, entsprechend den
Bauvorschriften der Eisenbahn möglichst in Nord -Südrichtung anzulegen
waren. Beim Bau der Häuser der Schmiedestraße richtete man sich nach
der Lage der Gleisachsen, die eine Ost-West-Richtung haben. So erhielt
auch die Schmiedestraße die Ost-West-Richtung.Zu jeder Wohnung wurde
ein Stall gebaut, der mit dem Eingangstor zum Hof eine geschlossene
Front bildete. Vor jedem Haus wurden Rabatten angelegt, jede Wohnung
erhielt einen Hausgarten. Einheitlich wurde unter den oberen Fensterbänken
ein weißes Farbband gezogen. Am Anfang der Straße wurde die Häuserflucht
zueinander viel breiter gesetzt.
Erst ab Nr. 3 c und der gegenüberliegenden Seite veränderte sich
die Häuserflucht. Die Nr.1 blieb zunächst offen.
An dieser Stelle erfolgte durch einen Flachbau die Einrichtung
des ersten und lange Zeit einzigen Einzelhandelsgeschäftes.
Schmiedestraße
Mit der Einführung der Hausnummern nach dem System, daß die eine
Seite der Straße die geraden Nummern erhielt und die andere Seite die
ungeraden, wurde eine Gepflogenheit geschaffen, die bis Anfang der 60er
Jahre fortgesetzt wurde. Von den Mietern wurde anfänglich bemängelt, daß
der Kohleverbrauch in der Küche und Waschküche zu hoch sei, so daß
dann auf Wunsch der Mieter Küche und Waschküche durch eine Wand
getrennt wurden.
Die erste Forderung auf zu bauende Wohneinheiten betrug 49, sie wurde
im März 1919 bereits auf 61 erhöht. Bis 1924 ertolgte die Fertigstellung von
108 Wohneinheiten. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es dann noch 16 Notwohnungen,
davon 11 im Übernachtungsgebäude .
lm Einzelnen erfolgte die Fertigstellung der Wohneinheiten in der Schmiedestraße
wie folgt:
1919 1,2,4 und 8
1920 3, 5, 12, 14, 16 und 18
1921 7,9,9, 10, 11, 13, 15, 19, 20, 21, 24, 29 und 30
1924 23 und 26
1925 17 und Neue Str. Nr. 2 ( heute Dr.-Stapff-Straße)
Das Haus in der Friedhofsgasse wurde 1926 gebaut.
Nur jeder Wohnblock wurde numeriert. Die einzelnen Wohneinheiten
erhielten, fortlaufend je Wohnblock eine Kennzeichnung mit zusätzlicher
Buchstabenbezeichnung a, b, c usw.
Die ersten Versorgungseinrichtungen
in der Eisenbahn -Siedlung
Alle Wohnungen wurden sofort an das Stromnetz angeschlossen und erhielten
Wasseranschluß zu einem am Personenbahnhof stehenden, mit 2
Dampfmaschinen betriebenen Wasserwerk. Dieses war zunächst nur für
Bauzwecke vorgesehen, wurde später durch elektrische Pumpen und den
Wasserturm im B-Gelände ersetzt und schließlich 1940 abgerissen. Der
Wasserturm hat eine Höhe von 55 m. Um eine mögliche Gefährdung des
Grundwasserspiegels frühzeitig erkennen zu können, mußte nach dessen
Fertigstellung bis zum Jahre 1930 an 3 Stellen in der Umgebung des Ortes
wöchentlich der Grundwasserstand gemessen und ausgewertet werden.
Die Entwässerung der Siedlung wurde Miüe der 20er Jahre fertiggestellt.
Bis dahin gab es für jede Wohnung eine Auffanggrube auf dem Hof. Von
der Bahnmeisterei, damals der Wohnungsverwalter, wurden Schöpfeimer
und ein fahrbares Jauchefaß zur Verfügung gestellt. Die Entleerung der
Jauchegruben mußte durch die Mieter selbst vorgenommen werden. Die
Geräte dafür waren in einem dem Feuerwehrdepot gegenüber stehenden
Stallgebäude untergebracht. Bis zum Anschluß der zentralen Entwässerung
blieb die Schmiedestraße ungepflastert. Erst 1927 wurde der Straßen-und Gehwegbau begonnen.
Die Straßenbeleuchtung erfolgte durch an den Häusern angebrachte Lampen.
Das Aufstellen von Standlampen, so wie sie auch die Eisenbahn verwendete, geschah erst später.
Die Anfänge der Feuerwehr
Das Feuerwehrgerätehaus wurde vermutlich 1921 fertiggestellt. An der linken Seite befand
sich eine Arrestzelle mit separatem Eingang.
Feuerwehrgerätehaus in der Thielenstraße
Diese wurde 1949 zu einem Dienst-bzw. Schulungsraum und 1990 nach Ausbau
des Gerätehauses nochmals zu einen Sozial-und Sanitärtrakt umgebaut.
Die Freiwillige Feuerwehr, die seit 1920 als Betriebs-und Ortsfeuerwehr
besteht, natte eine Personalstärke von 40 Einsatzkräften. Sie erhielt 1925
ihre amtliche Bestätigung als Feuerwehr und war damit als Schutzwehr im
Sinne der Feuerlöschpolizei und Löschordnung anerkannt.
Die Ausrüstung war in diesen Anfangsjahren des Ortes sehr dürftig. Die
Beschaffung vön dringend benötigten 20 Spaten und 2 Axten konnte erst
nach über äinem Jahr nach lntervention bei der Regierung in Potsdam
erfolgen.
Ende 1924 war die Feuerwehr wie folgt ausgerüstet :
2 Spritzen (handgezogen),
4 Hydrantenwagen,
1 Gerätewagen,
1 Ausziehleiter,
1 Hakenleiter,
1 Trage mit Rädern.
Feuerwehrfahrzeug um 1929
Die Schläuche wurden anfangs in 2 Wagenkästen auf dem Gelände der Übernachtung
zum Trocknen aufgehängt.
Durch örtliche Polizeiverordnung war festgelegt, daß jeder männliche Einwohner
zwischen 18 und 60 Jahren, auf Anforderung verpflichtet war,
Löschhilfe zu leisten. Angaben über Brände liegen nicht vor. Jedoch kann
mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß es bis 1925 keinen Wohnungsbrand gab,
sondern nur Entstehungsbrände an den Bahnböschungen.
Sonst hätte dies in vorhandenen Berichten seinen Ausdruck gefunden.
Die Anfänge der Schule in Neuseddin
Obwohl sich die Eisenbahn vertraglich verpflichtet hatte, bei wachsender
Bevölkerung bis 1921 endlich eine eigene Schule zu bauen, wurde der Baubeginn immer wieder zu Gunsten
des Wohnungsbaus zurückgestellt.
Ebenfalls der Bau von kirchlichen Einrichtungen. Die Schüler mußten deshalb in den ersten Jahren nach Seddin
zur Schule laufen.
Erst am 13.02.1922 wurde mit einem Klassenraum und 1923 mit 2 Klassenräumen
im Übernachtungsgebäude der hiesige Schulunterricht eröffnet.
Der Schulleiter erhielt dort ebenfalls Wohnraum. Seine Anstellung war davon
abhängig gemacht worden, ihn als Flüchtling, aus dem nach dem
l.Weltkrieg vom damaligen Deutschen Reich an Frankreich abgetretenen
Gebiet von Elsaß-Lothringen, mit Wohnraum zu versorgen. Beschwerden
gab es ständig wegen unzureichender hygienischer Verhältnisse für die
Schüler und wegen der Fußkälte im Winter. Besonders störend war, daß
sich im Keller der Übernachtung eine Gaststätte befand, die Tag und Nacht
geöffnet war und deren Lärm bis zu den Schulräumen drang.
Die Anfänge der Evangelischen Kirche
Die Evangelische Kirche erhielt zum gleichen Zeitpunkt ebenfalls Räume
im Übernachtungsgebäude. Am 1. April 1927 erfolgte die amtliche Gründung.
Mit bemerkenswertem Engagement trat der zuständige evangelische
Pfarrer gegen die sich damals häufenden Diebstähle auf, die zum Teil sogar
mit Waffengewalt durchgeführt wurden. Er redete allen Besuchern der
Gottesdienste intensiv ins Gewissen, sich daran nicht zu beteiligen, sowie
benachbarte Mitmenschen zu ermahnen, ehrlich zu bleiben.
Wegen der vielen Diebstähle wurde im Jahre 1920 die Bahnpolizei geschaffen.
Die Versorgung mit Lebensmitteln
Die Versorgung der Einwohner mit Nahrungs- und Genußmitteln erfolgte
durch einen Laden in der Schmiedestraße Nr.1. Die Milch mußte täglich mit
einem Hundewagen von der Leipziger Chaussee geholt werden, dies sowohl
im Sommer als auch im Winter, bei jedem Wind und Wetter.
Die Tochter des damaligen Lebensmittelhändlers hat sich dabei eine Lungenentzündung
mit tödlichem Ausgang zugezogen. Sie war die erste Heimgerufene,
die auf dem Neuseddiner Friedhof bestattet wurde.
Aus den umliegenden Orten kamen ambulante Händler, die den Bewohnern
zusätzliche Waren feilboten. Die Eisenbahnerfamilien konnten außerdem
mit ihrer ,,Einkaufskarte" je nach Festlegung in Berlin-Charlottenburg
oder Potsdam wöchentlich einmal Einkäufe erledigen, ohne hierfür Fahrgeld
bezahlen zu müssen.
Die ersten Gaststätten, die Post, die ärztliche Versorgung
Besser war das Gaststättenwesen entwickelt, zumindest hinsichtlich der
Quantität. So befand sich in Höhe des Personenbahnhofes, in der Nähe
des ersten Wasserwerkes, ein Holzflachbau Namens "Kunersrode" oder
"Waldschlößchen". Es waren aber Namen, die nicht publik wurden. Allgemein
wurde jedoch im Volksmund von der Gaststätte Hoffmann, dem ersten
Betreiber, später dann von der Gaststätte "Babin", dem zweiten Gastwirt
gesprochen. Die Gaststätte in der Übernachtung hatte zwar den hochtrabenden
Namen "Ratskeller", leider aber nur das Niveau einer einfachen
Kneipe.
Die Poststelle wurde in den ersten Jahren im Lebensmittelladen Hoffmann
nebenher betrieben. Familie Hoffmann besaß außerdem den ersten und
einzigen Pkw im Ort, welcher gleichzeitig als Taxi fungierte.
Die gesundheitliche Betreuung erfolgte durch Ärzte und Zahnärzte aus den
umliegenden Orten Beelitz und Michendorf. ln der damaligenZeit waren im
Normalfall nur Hausgeburten üblich. Die zuständige Hebamme mußte dann
aus Michendorf geholt werden. Sie kam meist mit dem Fahrrad zur Entbindung
und auch zur weiteren Betreuung der Wöchnerinnen. Eine Gemeindeschwester
gab es zu dieser Zeit noch nicht im Ort.
Zum Wirken des Siedlungsvereins
Zwar ergab sich, wie bereits erwähnt, hinsichtlich der kommunalen Probleme
zwangsläufig ein gewisser enger und fester Zusammenhang zwischen
der Eisenbahn als Arbeitgeber und den Beschäftigten als Mieter und
Einwohner des Ortes.
Das reichte berechtigterweise nicht aus, weil das Leben im Ort nicht nur
aus Vorschriften und Anordnungen bestand, sondern dazu auch gesellschaftliche
und zwischenmenschliche Beziehungen zu entwickeln waren.
Diese Aufgabe übernahm der 1920 gegründete Siedlungsverein, dem jeder
Haushalt angehörte. Er setzte durch Beratungen mit den Haushaltvorständen
so manche kommunalpolitischen Aktivitäten durch und war eine Art
Gemeindevertretung, die es ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab.
Der Siedlungsverein führte Volksfeste, besonders Kinderfeste, im Bereich
der Bahnhofsgaststätte durch. Das erste Kinderfest fand am 16.05.1920
statt. Die Kinderfeste mit Onkel Pelle brachten auch noch
bis in die Vorkriegsjahre ganz Neuseddin auf die Beine und zur Bahnhofsgaststätte Babien.
Die Kinderfeste hatten damals Volksfestcharakter!
Eine besondere Rolle übernahm jeweils dabei der Gemeindearbeiter, Ortspolizist
und Gehilfe des Amtsvorsteher-Vertreters. Er verkörperte die damals sehr beliebte Figur
des "Onkel Pelle".

Kinderfest 1925 in der Schmiedestraße
Zu den unterschiedlichen sozialen Schichten bei den ersten Bewohnern
Ausgeprägte politische Strömungen gab es Anfang der 20er Jahre nur bei
den Bauarbeitern. Ein Ereignis ist jedoch festgehalten, nämlich die Absicht,
einer Gruppe von Kapp-Putschisten, die von Potsdam kommend, eine Eisenbahner-Protestveranstaltung
zusammenschießen wollten. Glücklicherweise blieb es bei der Absichtserklärung. Der verhältnismäßige Betriebs-
frieden bei der Eisenbahn hatte seine Ursache darin, daß die Beamten sich
zwar organisieren, aber nicht streiken durften. Anders sah es dann aber bei
den Ergebnissen der Wahlen aus, welche in den ersten Jahren noch mit
Kähnsdorf und Seddin gemeinsam durchgeführt wurden. Beim Vergleich
der Einwohnerzahlen und der Listen kam in den Wahlergebnissen eine
deutliche Linkstendenz zum Ausdruck
Dieser erste Abschnitt über die Entstehung des Ortes Neuseddin beschreibt
den Zeitraum von den ersten Anfängen bis 1925, er kann nicht
beendet werden, ohne auf das große Ereignis der lnternationalen Eisenbahnausstellung einzugehen.
Die lnternationalen Eisenbahnausstellung
Die Ausstellung fand vom 21. September bis zum 19.Oktober 1924 auf
dem Gelände des Bahnhofes im unmittelbaren Bereich der damaligen
Umladehalle statt. Sie war verbunden und mit einem intemationalen Fachsymposium
in Berlin und löste die völlige lnbetriebnahme des Verschiebebahnhofes
aus.
Sie sollte die blühende industrielle Entwicklung mit der damals sehr modernen
Technik demonstrieren. Die für diese Zeit erstaunlichen Rationalisierungsmaßnahmen
des Rangierbetriebes in Seddin sollten dies beweisen.
Es wurden über 100 Exponate der Eisenbahnbetriebs-und Transporttechnik
gezeigt. Täglich wurden bis zu 40.000 an einem Sonntag sogar
60.000 Besucher gezählt.
Internationale Eisenbahnausstellung 1924
Internationale Eisenbahnausstellung 1924
Eisenbahner stellten Unterkünfte für das Ausstellungspersonal zur Verfügung.
Junge Einwohner verdienten sich mit der Beaufsichtigung der abgestellten
Pkw/s und Fahrräder ihr Taschengeld.
Der Arbeiter-Samariter-Bund Beelitz hatte die Betreuung der Besucher
übernommen und leistete 126 mal Erste Hilfe. Dabei half er besonders an
einem Tag, als aus einem Kesselwagen, der in der Nähe der Ausstellung
abgestellt war, gefährliches Chlorgas ausströmte. Glücklicherweise trieb
der Wind die Gaswolke in die entgegengesetzte Richtung. Jedoch erlitten
zahlreiche Besucher im Tunnel Reizungen der Mund-und Rachenschleimhäute
durch das Chlorgas. Außerdem entstanden durch diesen Gasunfall
auch Schäden am Waldbestand.
Bis heute ist jedoch diese Ausstellung bei Zeitzeugen in der Erinnerung als
besonderes Ereignis fest eingeprägt.
Die auf dieser internationalen Eisenbahnausstellung dargestellten Rationalisierungsmaßnahmen
im Rangierbetrieb stießen bei der Gewerkschaft als
lnteressenvertreter der Eisenbahner auf heftige Kritik, weil bei Durchführung
dieser Maßnahmen Massenentlassungen befürchtet wurden. ln der
ersten Phase des Aufbaus des Verschiebebahnhofes Seddin und der gezielten
Ansiedlung von Arbeitskräften im Ort gab es hier keine Arbeitslosen.
Verärgerungen gab es aber, weil Lohnerhöhungen zwar ausgezahlt,
dann aber wieder ratenweise zurück gefordert wurden. Schließlich überwog
aber die Genugtuung, sich wohnmäßig verbessert zu haben sowie der
relativ sichere Arbeitsplatz, solche Argernisse.
Die ersten Vereine in Neuseddin
Es entstanden erste Anfänge der kulturellen und sportlichen Freizeitgestaltung
neben den Aktivitäten der Feuerwehr, dem Siedlungsverein und
den Gruppen der Evangelischen Kirche.
Bereits 1924 wurde ein Männergesangverein gegründet.
Auch vom Beginn erster Anfänge sportlicher Betätigung im Ort kann im
ersten Kapitel der Gründung unseres Heimatortes schon berichtet werden.
Gegen Ende des Jahres 1924 hatte die Siedlung 594 Einwohner.
Diese Daten stammen aus der Broschüre
"Beiträge zur Ortsgeschichte Gemeinde Seddiner See"
erarbeitet vom Chronikkreis der Heimatfreunde Neuseddin
Redaktion: Hanswerner Cimbal und Harald Röhr
Projektleitung: Evangelisches Pfarramt Neuseddin, Pfarrer Jürgen Heydecke
Redaktionsschluß: 15.12.1998
Webdesign: Thomas Müller
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